Wie ich Ostern meinen Hund fast umgebracht habe!




Ostern 2017



Jetzt sitze ich hier an meinem PC und  neben mir ein Hund, der nach 12 epi-leptischen Anfällen seit Karfreitag zwar noch lebt, aber zittert, viel hechelt, umfällt, wenn er aufsteht und dann wieder erschöpft einschläft.

Was ist passiert?

Meine Hündin Nisha, 12 Jahre, hat seit ihrem 7. Lebensjahr Epilepsie. Die letzte An-fallsserie war im November. Es ging ihr seitdem gut. Sie war mit dem Epilepsie-medikament Phenoleptil gut eingestellt. Am Gründonnerstag waren wir beim Tierarzt, um den Spiegel des Epilepsiemedikamentes kontrollieren zu lassen.  Gleich-zeitig haben wir ein Blutbild (geriatrisches Profil) erstellen lassen, um auch die anderen Werte vorsorglich zu kontrollieren. Da nun auch bei uns die Zecken begannen, auf unseren 8 Hunden spazieren zu gehen, hatte ich die „glorreiche“ Idee, Zeckentabletten gleich mitzunehmen. Der Tierarzt hatte ein neues Präparat am Start: Simparica. Natürlich habe ich gefragt, ob es für Epileptiker geeignet ist. Der Tierarzt hatte bei der Pharmafirma extra nachgefragt. Die Antwort: Keine Nebenwirkungen für Epileptiker. Auch im Beipackzettel war nichts zu finden. Also habe ich die Tablette am Karfreitag ohne weitere Recherche verabreicht. Ein fataler Fehler von mir.

Warum ich  überhaupt Zeckentabletten gegeben habe?

Viele Fragen sich jetzt sicherlich, warum ich überhaupt Zeckentabletten verab-reiche? Deshalb gibt es jetzt hier mal meine „Zeckenkarriere“. Denn was Zecken angeht, bin ich sicher paranoid. Sie dürfen weder auf einem unserer Tiere wohnen, noch in unserer Wohnung.

Mein erster Hund Murmel landete 1996 mit einem Allergieschock in der veterinär-medizinischen Uniklinik in Halle/S.. Zwei Assistenzärzte und zwei Helferinnen entfernten damals 45 Zecken aus dem Hund. Als ich nach Hause kam, krabbelten die Tiere noch auf dem Teppichboden und dem Sofa. Für mich ein nachhaltiges Schockerlebnis. Eine Feindschaft war geboren.

Über die Arbeit beim Tierschutz in Italien lernte ich die Mittelmeerkrankheiten beim Hund kennen. Einige dieser Krankheiten werden durch Zecken übertragen. Meine Feindschaft gegenüber Zecken wurde vertieft.

Das Thema meiner Abschlussarbeit in der Hundetrainerausbildung 2009 war dann „Die Mittelmeerkrankheiten beim Hund“. Ein Jahr habe ich mich detailliert mit Zecken beschäftigt, um diese Arbeit zu erstellen. Es sind mit Abstand die wider-standsfähigsten Tiere, die mir bisher untergekommen sind. Ein Waschgang in der Waschmaschine bringt sie nicht um. Auch tiefste Temperaturen überleben sie, wenn sie nicht zu lange andauern. Auch der Spülgang in der Toilette kann ihnen nichts anhaben.  Es braucht schon etwas „Giftiges“, um sie zu töten – mal ganz davon ab, ob „natürlicher“ oder chemischer Wirkstoff. Natürlich habe ich mir auch die damals gängigen Mittel angeschaut. Zecken mögen das Thiamin der Bierhefe nicht. Die Wirkung von Knoblauch war wissenschaftlich nicht erwiesen. Und die Spot-on-Präparate waren definitiv giftig. Für mich war es ein wenig, wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Eine lebenslange Erkrankung wie z.B. Borreliose oder Ehrlichiose war genauso „Scheiße“ wie die Nebenwirkungen der Spot-on-Präparate. Was war damals mein Kompromiss? Ich habe es solange mit Bierhefe und ähnlichen Präparaten versucht, bis die Zecken in großer Zahl Party auf den Hunden machten. Dann gab es einmal ein Spot-on. So kamen wir hier in den Bergen gut durch den Sommer!

Mein Lebenspartner und ich haben 8 Hunde. Ich rede also über eine große Anzahl an Zecken, die bei uns wohnen wollten.

Dann kam Duffy in unsere Hundegruppe. Er hat Ehrlichiose. Nachdem die Erreger lebenslang Rückenmark schlummern können, ist er Zwischenwirt, d.h. keine Zecke sollte Duffy lebend verlassen, da sonst die Krankheit weiter gegeben werden kann. Auch das war für mich ein Grund für Zeckenmittel, das die Zecken tötet.

Wir haben in den letzten Jahren viel „natürliche“ Mittel ausprobiert! Aber ab einer gewissen Zahl Zecken waren diese  nicht mehr wirksam.

Als dann die Tabletten auf den Markt kamen, haben wir dann im Frühsommer  zur Zecken-Hochzeit -  einmal NexGard verabreicht und sind dann gut durch den Sommer gekommen. Alle 8 Hunde haben dies gut vertragen.  Große Recherchen habe ich nicht angestellt. Aus diesem Grund habe ich – außer meine Nachfrage, ob Simparica  epileptiker-geeignet ist, nicht lange gezögert. Ein schwerwiegender Fehler – aber das weiß ich erst jetzt.

Was passierte nach der Tablettengabe?

Nachdem ich ein sehr sachlicher und strukturierte Mensch bin, zunächst folgende wichtige Aussage: 7 der 8 Hunde haben das Mittel „Simparica“ gut und ohne Nebenwirkungen vertragen. Nisha nicht.

Am Freitagabend begann die schlimmste Serie epileptischer Anfälle, die Nisha je hatte – 12 Anfälle bis zum Ostersonntag um 11 Uhr. Nach dem Krampfen folgte eine Phase der Bewusstlosigkeit, die von Anfall zu Anfall länger wurde. Danach war sie:

  • orientierungslos und erkannte uns nicht mehr, 
  •  die Beine versagten,
  • Nisha hat uns und die anderen Hunde nicht erkannt usw.


Wer das schon mal erlebt hat, weiß, wie hilflos man sich als Mensch fühlt. Von Anfall zu Anfall wird der Hund schwächer. Jeder Anfall kostet den Hund enorme Kraft, die er irgendwann nicht mehr hat und stirbt. In unserer Verzweiflung sind wir am Sonntag mit Nisha hinaus gegangen. Wir hatten die leise Hoffnung, dass ihr die Luft oder ihre Hausrunde hilft. Draußen dann der Supergau – zwei Anfälle hintereinander. Sie lag im Matsch, ich kniete neben ihr und habe mich von ihr verabschiedet. Sie war nicht bei Bewusstsein. Martin holte das Auto und wir haben sie dann heim gebracht und mit uns gerungen, ob wir den Tierarzt zum Einschläfern rufen. Diese Quälerei war nicht länger tragbar. Warum auch immer, sie wurde wieder wach und hat dann geschlafen. Kein weiterer Anfall seit Sonntag 11 Uhr. Aber es geht ihr nicht gut. Sie hechelt permanent. Die Motorik ist nahhaltig gestört. Sie zittert im Schnauzen- und Augenbereich. Sie fällt hin. Sie läuft vor Schränke. Sie kämpft.

Und wer jetzt den Tierarzt vermisst: wir standen in ständigem Kontakt mit dem Tierarzt. Auch dieser war extrem betroffen und entsetzt. Da ja viele immer auf den Tierarzt schimpfen: ich bin sicher, dass er das zu keinem Zeitpunkt wollte und danke ihm für sein Engagement.

Während ich nun in den letzten Stunden neben meinem Hund saß, habe ich am Tablet mit der Recherche zu dem Mittel begonnen. Ich wollte jetzt genau wissen, was ich da angerichtet hatte.

Wichtig: natürlich muss die Tablette von Simaprica nicht die Ursache für diese Anfallsserie sein. Epilepsie kann immer auftreten. Aber das Blutbild von Donnerstag war unauffällig und Nisha war medikamentös gut eingestellt. Da es keine Futterumstellung, Stress oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse gab, liegt für mich eine Verknüpfung mit der Tablette sehr nahe und leider auch die Ergebnisse meiner Kurzrecherche.

Was sind die Ergebnisse der Kurzrecherche?

Der Wirkstoff in der Simparica-Tablette heißt Sarolaner. Er gehört damit zur Gruppe der Isoxazoline. Das sind Antiparasitika – also eine Wirkstoffgruppe gegen Parasiten wie z.B. Zecken und Flöhe. Ebenfalls zu dieser Gruppe gehören:
  • Flurolaner – der Wirkstoff in Bravecto
  • Afoxolaner – der Wirkstoff in NexGard
Simparica ist 2016 auf den Markt gekommen und wurde als Alternative zu Bravecto gepriesen. Zunächst habe ich mir mal die deutsche/ europäische Packungsbeilage von Simparica vorgenommen (https://www.zoetis.de/gebrauchs-informationen.aspx). Nebenwirkungen: nicht bekannt.

Ich habe dann die Packungsbeilage aus den USA studiert (https://www.zoetisus.com/products/dogs/simparica/index.aspx). Hier findet sich folgender Hinweis:
„Precaution: SIMPARICA may cause abnormal neurologic signs such as tremors, decreased conscious proprioception, ataxia, decreased or absent menace, and/or seizures (see Animal Safety)“.

Nun mal ganz platt: Auf amerikanischem Boden kann der Wirkstoff Sarolaner Zittern, Ataxien und auch epileptische Anfälle verursachen, aber nicht in der Europäischen Union. An dieser Stelle trifft mich jetzt als Verbraucher die Fassungslosigkeit. Muss ich nun noch die Packungsbeilagen aus anderen Kontinenten lesen, um mir einen Überblick zu verschaffen? Was treibt ein Unternehmen dazu, diesen wichtigen Hinweis einfach zu unterschlagen?

Nachdem Simparica noch nicht lange auf dem Markt ist, sind die Erfahrungswerte gering und noch nicht wirklich dokumentiert. Allerdings gibt es sehr wohl klare Aussagen zu Bravecto mit einem Wirkstoff aus der gleichen Arzneimittelgruppe.

Hier gibt es eine sehr interessante Stellungnahme vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Deutschland.

https://www.bvl.bund.de/DE/05_Tierarzneimittel/05_Fachmeldungen/2017/2017_01_24_Fa_Bravecto.html

Hier nur einige Auszüge:

„In Deutschland und ebenso in anderen EU-Mitgliedsländern sind seit Markteinführung Meldungen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu Bravecto® eingegangen, die über teilweise schwere neurologische Symptome wie z.B. Zittern, Ataxie, Krampfanfälle, Epilepsie berichten.“

Wie wahrscheinlich ist es jetzt, dass bei einem Wirkstoff aus der gleichen Gruppe diese Nebenwirkungen nicht auftreten? Wäre bei solchen Erfahrungen nicht ein Warnhinweis für Epileptiker angebracht?

„Da in den Studien zur Zulassung eines Tierarzneimittels die Anzahl der Tiere begrenzt ist, werden folglich nur Nebenwirkungen in der Gebrauchsinformation abgebildet, die in diesen Studien aufgetreten sind. Erst nach der Markteinführung und einer häufigen Anwendung können seltene und sehr seltene unerwünschte Arzneimittelwirkungen entdeckt werden.“

Ich nehme also gerade mit Nisha unfreiwillig an einem Tierversuch teil. Erkenntnisse aus den USA müssen wohl nicht deklariert werden und auch nicht die Erfahrungen mit einem Arzneimittel, dass einen ähnlichen Wirkstoff enthält.

Laut dieser Stellungnahme wird Bravecto® nun engmaschig überwacht, damit man dann die Informationen in der Packungsbeilage adaptieren kann.

Natürlich hatte ich schon vorher so meine Vorurteile in Sachen Pharmaindustrie. Bei direkter Betroffenheit werden nun meine Klischees prompt bestätigt.

Auch ein Artikel aus dem deutschen Ärzteblatt fasst dies nochmal sehr schön zusammen:

https://www.deutsches-tieraerzteblatt.de/artikel/fokus-antiparasitika.html


Was möchte ich nun erreichen?

Wie jeder einzelne von uns Zecken bekämpft, ist und bleibt eine persönliche Entscheidung. Was ich mir aber ganz klar wünsche, ist eine bessere Entscheidungsgrundlage.

Aussagen wie „Nebenwirkungen – nicht bekannt.“  sind so nicht haltbar und eine klare Beleidigung unseres Kundenverstandes – auch wenn ich zugegebenermaßen davon beim Einsatz des Präparates nicht gerade viel gezeigt habe. 

Nur wenn wir die Nebenwirkungen alle melden, wird es eine Änderung der Packungsbeilage geben. Ich wünsche mir also viele Menschen, die unerwünschte Nebenwirkungen auch melden. Zusammen können wir viel erreichen. Das ist auch der Grund, warum ich mit meinem Fehler in die sozialen Medien gehe. Meine Dummheit öffentlich darzustellen, macht mir sicher keine Freude.

Was ich nicht brauche, sind Hinweise wie: “Mein Hund hat es aber gut vertragen!“

Vorwürfe gegen mich, könnt Ihr zwar in die Kommentare schreiben, aber ich zerfleische mich gerade ausreichend selbst – besser wäre TEILEN! Vielleicht kann Nishas und meine Geschichte weitere Fälle vermeiden.

Und zu guter Letzt:

Nisha wird engmaschig von Tierarzt und Tierenergetiker begleitet. Entschuldigung, Nisha! Ich wusste es, wie so vieles andere auf unserem gemeinsamen Weg nicht besser! 

P.S. Heute - August 2017 geht es Nisha gut. Einige motorische Einschränkungen sind uns geblieben. Auch bin ich nicht sicher, ob sie uns immer erkennt. Aber wie auch immer - ich bin froh, dass sie noch bei mir ist.

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