Meine Angst vor dem Kopfstand und die Angst von Hunden!
Irgendwann
2015 habe ich beschlossen, einen Yogakurs zu besuchen als Ausgleich zu meinem
Hundeschulalltag. Irgendwie wollte ich das tägliche Gedankenkarussell stoppen.
Yoga hat mir gut getan und ich habe zum Glück eine Yogaschule gefunden, in der
ich die Kurse unter der Woche flexibel besuchen kann. Bei meinem Terminkalender
nicht ganz unwichtig. Eines Tages kam dann dieser Tag. Mona, die Yogalehrerin
kündigte an, dass wir uns jetzt langsam über verschiedene Übungen an den
Kopfstand heranwagen. In meinem Kopf ging direkt der Alarm los. Was ist, wenn
ich umfalle? Wie soll ich da hoch kommen? Und wenn ich umfalle, was ist dann
mit meinem Genick? Katastrophenszenario in Reinform! „Nun gut, aber die
Vorübung machst Du mal mit mit, liebe Bina!“ sagte irgendetwas in meinen Kopf.
Es ging also auf die Knie, ein schönes Dreieck mit den Armen formen, in dem der
Kopf ruht. Beine durchdrücken, Po hoch und mit den Füssen heranlaufen. Dann den
einen Fuß bisschen hochdrücken.
Das ging dann nicht mehr, meine Füße klebten am
Boden. Obwohl kein Druck auf dem Kopf sein sollte, hatte ich Druck auf dem Kopf
und im Kopf. Ich befahl dem Fuß verzweifelt, dass er ein bisschen hochkicken
sollte. Nix da! Keinen Millimeter! Ich setze mich hin und schaute mal, wie das
die anderen machten. Die konnten ihre Füße zu mindestens bewegen - ich auch
nach mehreren Versuchen nicht. Ich war quasi am Boden festbetoniert.
Einigermaßen irritiert fuhr ich nach Hause. Daheim habe ich dann mit mir selbst
mal ein klärendes „Erstgespräch“ zum Thema „Angst vor dem Kopfstand“ geführt.
Denn eines war klar, in der Position hatte das limbische System das Sagen und
nicht das Großhirn. Ich hatte einfach Angst auf dem Kopf zu stehen.
So ähnlich
geht es sicher auch einem Hund, der eine Pfote auf die Hängebrücke setzten soll –
wie festgenagelt!
Was hat denn nun mein Erstgespräch ergeben?
Zuerst einmal habe ich natürlich in
Sachen Sport eine unrühmliche Vorgeschichte. Von der 6. bis zur 12. Klasse
hatte ich so einen Sportdrachen als Lehrerin, die vor nichts zurück schreckte.
So erinnere ich mich noch genau an die hohe Wende am Stufenbarren.
Ich wurde
vom Sportdrachen und zwei hochbegabten Mitschülerinnen hoch gehieft und dann
drüber geschubst. Erstens damit ich den Bewegungsablauf lerne und zweitens,
damit ich merke, dass es ungefährlich ist. Hat nicht so geklappt, das einzige,
was ich bei dieser Aktion gelernt habe, ist, dass der Sportdrache unberechenbar
und hochgefährlich ist. Ich zeigte deutliches Meideverhalten, verschwand auf
dem WC, bettelte um Entschuldigungen bei meiner Mutter oder hatte einfach
plötzlich „meine Tage“.
Zerre ich
einen Hund über oben schon erwähnte Hängebrücke, hält dieser mich ebenfalls für
unberechenbar. Vermutlich zeigt er Meideverhalten oder er beisst sogar. Den
Sportdrachen beissen, konnte ich aber meiner Mutter nicht antun :-). Ich galt als gut erzogen. Natürlich
war das nicht das einzige unrühmliche Szenario im Sportunterricht. Alle
dieseEreignisse waren schlechte Lernerfahrungen, die jetzt beim Kopfstand wieder
total präsent waren.
Aber war das
alles? Nein, natürlich nicht. „Den Boden unter den Füssen verlieren“ zählt sicherlich zu den
unkonditionierten Angstauslösern. Im Laufe der Evolution wurde gewisse
Angstauslöser fix gespeichert wie z.B. Angst vor Erdbeben, Höhe, plötzlichem
Schmerz oder ähnliches. Als unsere Minischweine bei uns eingezogen sind, hatte
ich die grandiose Idee, sie hochzuheben. Ohne Boden unter den Klauen, schreien
diese Tiere furchterregend.
Und mal sachlich überlegt, die meisten Tiere lehnen
es ab, getragen zu werden und zeigen auch deutliche Angst, wenn sie die ersten
Male hochgehoben werden. Einige geben dann auf, anderen beißen, laufen weg oder
albern herum , wenn man sie tragen will. Die typischen 5 Verhaltensweisen der
Angst. Okay – Ergebnis des Erstgesprächs mit mir selbst: ein unkonditionierter
Angstauslöser „den Boden unter den Füßen verlieren“ in Kombination mit
schlechten Lernerfahrungen in der Vergangenheit.Was tun?
Natürlich
muss man keinen Kopfstand können. Aber Angst zieht Kreise. Und ich bemerke
jetzt schon Tendenzen an mir, dass ich Hängebrücken meide oder Balancieren auf einem
Steg nicht wirklich bevorzuge. Lasse ich das jetzt so laufen, steige ich
irgendwann nicht mehr auf die Leiter, um eine Glühbirne auszutauschen. Also ran
an die Angst.
Was brauche ich?
Zunächst
brauche ich Hilfe von anderen Personen! Vertrauenspersonen! Ich muss ihnen
vertrauen, dass sie mich halten, wenn die Füße sich mal vom Boden lösen. Wem vertraue
ich – der Yoga-Lehrerin und meinem Lebenspartner Martin. Ein Vertrauen, das Zeit
brauchte, um sich zu entwickeln. Ein Fremder darf mich nicht festhalten!
Dann arbeite
ich zunächst nicht direkt am Kopfstand, sondern an anderen Balanceübungen, bei
den es nichts so hoch hinaus geht und mein Genick nicht gefährdet ist. Warum?
Ich gewinne Kraft und Selbstvertrauen. Nur in kleinen Schritten geht es in
Richtung Kopfstand!
Ich brauche zusätzlich
noch Wissen. Wie sind denn die Bewegungsabläufe beim Kopfstand? Hier helfen
Erklärungen und das Beobachten anderer! Auch
Hilfsmittel kommen zum Einsatz – ein sogenannter Kopfstandstuhl. Hier liegt das
Gewicht nicht auf den Armen und das Genick ist sicher. Die Körperhaltung und
die Körperspannung ist der beim Kopfstand aber sehr ähnlich. So arbeite ich
mich langsam in die Höhe.
Entscheidende Faktoren sind:
- Selbstvertrauen
- Zeit
- Vertrauen in helfende Personen
Was braucht man nicht?
Menschen, die einem erklären: "Das kann doch jeder!" gepaart mit diesem mitleidigen Blick!
Und warum
schreibe ich das Ganze, weil es einem Hund nicht anders geht. Nehmen wir die
Angst vor der Hängebrücke. Drüber Zerren hilft nicht. Ich muss dem Hund
vermitteln, dass er mir vertrauen kann. Ich arbeite
zunächst also gar nicht an dem Problem Hängebrücke. Wir machen Übungen
zum
Vertrauensaufbau. Das habe ich übrigens in den Sendungen der TV-Trainer noch
nie gesehen. Der Vertrauensaufbau zwischen Hund und Trainer wird nie gezeigt. Der ist nämlich
im Grunde völlig unspekatakulär – ja sogar langweilig. Stunde um Stunde
arbeitet man daran, dass der Hund ein Leckerli aus der Hand nimmt. Wenn das
gezeigt wird, sind die Einschaltquoten in Schallgeschwindigkeit im Keller.
Dann geht es
an erste spielerische Übungen. Pfoten auf ein Podest, ein Wackelkissen oder gar
schon ein Wackelbrett. Es entwickelt sich Vertrauen zu mir und der Hund
entwickelt Selbstvertrauen, solange wir alle in kleinen Schritten arbeiten. Das
will im TV keiner sehen.Ich lasse
den Hund aus sicherer Distanz auch zuschauen, wenn andere Hunde die Brücke
passieren. Es gibt Lernen durch Nachahmung.
Natürlich
sieht es besser aus, wenn man mit Knackarsch und freiem Oberkörper auf der
Hängebrücke steht, den Hund drüber zieht und den Rudelführer gibt. Auf der
anderen Seite angekommen, wird der Hund dann hechelnd auf dem Podest liegen und
man erklärt: jetzt ist der Hund entspannt.
Das ist dann
so wie die Nummer mit meinem Sportdrachen! Aber ganz ehrlich so läuft das
nicht. Der Hund geht so nicht über die Brücke und ich komme so nicht in den
Kopfstand.
Arbeit an der Angst braucht:
Zeit,
Vertrauenspersonen und Selbstvertrauen! Keine Hau-Ruck-Aktionen in 45 Minuten Sendezeit.
Den Kopfstandstuhl
habe ich seit November 2017! Vor zwei Wochen habe ich es in einen schrägen „Kopfstand“
geschafft. Ich bin unfassbar stolz auf mich und ich mache weiter! Auch einen
Handstandworkshop habe ich schon besucht. Man braucht ja Perspektiven!
P.S. Die
Zeit, in der die TV-Trainer im Fernsehen unterrichten, lässt sich wunderbar zum
Kopfstand üben nutzen. Schaut Euch die Trainer einfach mal aus einer anderen Perspektive
an.
Blogparade
2018
Dieser Artikel erscheint im
Rahmen der Blogparade 2018 zur Aktion „Tausche
TV-Trainer-Ticket gegen Training“ der Initiative
für gewaltfreies Hundetraining. Seit 2014 tauschen mehr als 200
TrainerInnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz gebrauchte
TV-Trainer-Tickets für ein halbes Jahr nach der Veranstaltung gegen eine
Gratis-Trainingsstunde.
Auch dieser Blogartikel ist
Teil der Blogparade. Alle Artikel der Blogparade findet ihr unter: http://www.dogsinthecity.at/2018/03/15/die-fabel-von-der-ruhigen-energie/
Liebe Bettina,
AntwortenLöschenich glaube, du bist einer der mutigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Anders kann ich mir nicht erklären, wie das alles angehst und hinkriegst! Toller Beitrag und der beste Satz steht im PS.
Liebe Grüße aus der Uckermark
Ute
Du weißt ja, man braucht ein gutes Ende! ;-). Danke fürs Lob! Deinen Artikel fand ich auch mutig. Ich bin froh, dass ich die klassische Hundeschule auslassen konnte, weil ich noch keinen Hund hatte. :-)
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