Fährte verfolgen oder doch nur Fressen?
Ein Blog entsteht ja bei mir meistens, wenn ich mich
aufregen muss. Die letzten Wochen wurden rund um meinen Hundeplatz wieder
Fährten getrampelt. Um es gleich klar festzuhalten: nicht von mir und auch
nicht von meinen Kunden.
Vielmehr reisen verschiedenste Vereine oder Züchter in
die Leutasch, um hier Fährtentraining zu machen. I.d.R. sind es Schäferhunde,
die dieses Training absolvieren müssen. Auf dem Parkplatz gegenüber wird dann geparkt, die Autos
werden geöffnet und aus den zahlreichen Hundeboxen begleitet mich bei meinen Stunden das große, hysterische
Gekläffe. Nun gut, ich liebe ja Hunde und auf meinem Hundeplatz ist es auch
nicht immer leise.
Die dazugehörigen Menschen beginnen dann akribisch
Fährten in die umliegenden Wiesen zu trampeln. Ich schaue zu – meine Kunden
auch. Das sieht so aus, dass immer ein oder zwei Schritte gemacht werden, dann
bleibt der Mensch stehen und stampft noch 3-4 Mal auf. Jetzt wird ein Leckerli
auf die gestampfte Stelle gelegt. So geht das dann, bis die Fährte fertig ist. Dann
wird der Hund geholt. Dieser ist komplett aus dem Häuschen, weil er die Box verlassen darf. Mit dem obligatorischen Gekläffe, Kettenhalsband
und Schleppleine geht es dann zum Beginn der Fährte. Ein Mensch hält die Schleppleine – bei den
Anfängerhunden sehr kurz. Eine zweite Person zeigt auf die Fährte und drückt
bei Bedarf den Kopf des Hundes Richtung Boden, damit die Nase des Hundes immer
am Boden ist. Die anderen Teilnehmer des Kurses bilden hinter dem Hund einen Halbkreis
und verfolgen den Hund. Ich hätte gerne Fotos hier eingestellt, aber das ist
rechtlich mal sicher heikel.
Das ist dann der Punkt, wo ich nicht mehr weiß, ob
ich lachen oder weinen soll. Ich stecke irgendwo zwischen Adrenalinausschüttung
und Emotionskontrolle. Füße mit dem Boden verwurzeln atmen und schlechte
Energie in den Boden leiten. Vielleicht kommt die Energie ja auf der andern
Seite raus.
Das erste Problem ist sicher, dass es sich bei den Wiesen
um Futterwiesen handelt und dass das Wiesenwachstum
durch diese Trampelei nicht gefördert wird. Jeder Landwirt hat hier ohne
Zweifel jedes Recht sich aufzuregen. Blöderweise werden diese Menschen, dann
meiner Hundeschule zugeordnet. Mir ist auch nicht klar, warum allgemeine
Regeln, wie man trampelt nicht durch Futterwiesen, für diese Spezies
Hundehalter und –trainerInnen nicht gelten. Es ist aus meiner Sicht ein
schlechtes und rücksichtsloses Benehmen, was alle anderen Hundemenschen zu
Unrecht in Verruf bringt.
Das zweite Problem ist, dass diese Methode der
Fährtenarbeit mit all ihren Begleitumständen im Jahr 2018 echt nichts mehr zu
suchen hat und dem Hund und seiner großartigen Nase absolut nicht gerecht wird.
Warum? Ich bemühe mich jetzt mal um verständliche Erklärungen.
Dazu müssen wir zurück zu Konrad Most, der als der Begründer des
Hundesports und der Hundeerziehung des 20. Jahrhunderts schlechthin gilt. 1910
erschien sein Buch „Die Abrichtung des Hundes“. Most war Polizist und
Ausbildner von Diensthunden. Er verfasste detaillierte Anleitungen zum
Abrichten und Führen von Hunden. Auch
zur Fährtenarbeit hat sich Konrad Most viele Gedanken gemacht und
Ausbildungsideen entwickelt. Seine Methoden
basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die damals 1910 – also vor über
einhundert Jahren – gültig waren. Damals glaubte man, dass der Hund bei einer
Fährte die sogenannte Bodenverletzung riecht.
Was ist eine Bodenverletzung?
Die
Bodenverletzung verursacht der Mensch, indem er durch die Futterwiese trampelt.
Pflanzen werden geknickt und zertreten und auch kleine Tiere sowie Mikrorganismen.
Der Boden wird komprimiert. Kleine
Bakterien beginnen sofort mit dem Zersetzen des zerstörten Materials und dabei
entsteht der spezifische Bodenverletzungsgeruch. Daraus folgerte man 1910, dass
es gut ist, wenn der Hund die Nase am Boden hat.
Passende Lehrmethode
war es also, Futter in die Trittspuren des Fährtenlegers zu legen. Man erhoffte
sich so, dass der Hund den Bodenverletzungsgeruch mit dem Futter verknüpft und
der Fährte folgt. So weit so gut!
Zu dieser
Zeit hatte man eine zweite Komponente – den Individualgeruch des Fährtenlegers- noch
gar nicht auf dem Schirm. Wenn wir Menschen uns so bewegen verlieren wir pro Minute
ca. 40.000 Haut- und Haarzellen. Keine schöne Vorstellung, dass wir langsam
zerrieseln, ist aber so. Heute kann man das nachweisen, 1910 wusste man es
einfach noch nicht. Auch diese Zellen werden in Windeseile wieder von kleinen
Mikroorganismen zersetzt und es entsteht unser Individualgeruch. Dieser steht
quasi wie ein Geruchstunnel über unserer frischen Fährte und sinkt dann langsam
Richtung Erde oder wird vom Wind verweht.
Jetzt ist das Wissen um den
Individualgeruch zwar schon bis zu den klassischen Fährtenlegern
durchgedrungen, aber nun wird einfach behauptet, dass der Hund sich nur auf die
Bodenverletzung konzentriert und den Individualgeruch ignoriert. Also weiter die
Nase auf den Boden, wenn es sein muss mit Gewalt. Nachdem Hunde aber
ausgesprochen erfolgreich Spuren auf Asphalt finden können und wir Asphalt
jetzt nicht verletzen können, scheidet die Theorie- der Hund ignoriert den
Individualgeruch- knallhart aus.
Eine Spur
setzt sich nach Wissensstand 2018 aus dem Individualgeruch des Fährtenlegers
und aus dem Geruch der Bodenverletzung zusammen. Bei einer frischen Spur muss
der Hund noch nicht einmal die Nase nach unten bewegen, da der Geruchstunnel ja
in der Luft steht. Wenn man also den Hund nach dem Fährtentrampeln – wie beobachtet-
sofort aus dem Auto holt, muss ich ihn nicht mit der Nase auf den Boden
drücken. Das ist Quatsch.
Jetzt gehen
die Probleme aber gravierenderweise weiter. Wir haben da nun die Fährte mit
Futter in jedem 2. oder 3. Trittsiegel. Zu dem Individualgeruch und der
Bodenverletzung kommt als nun noch der Geruch von Hühnchen oder Würstchen
hinzu. Das steht wohl bereitet neben der Hundebox, in der der Hund kläfft. Hier kann es jetzt zu einer Reizüberschattung kommen.
Was ist
Reizüberschattung?
Es gibt den
Bodenverletzungsgeruchsreiz und den Futterreiz (Individualgeruchsreiz wird ja
ignoriert :-)). Was macht jetzt der Hund, wenn er mit zwei Reizen
konfrontiert wird: er blendet den unwichtigen Reiz aus. Ein gerne fressender
Hund wird den Bodenverletzungsgeruch ausblenden und fressen! Ein Hund, der
tatsächlich dem Bodenverletzungsgeruch folgt, wird aussortiert, weil er die
vorgesehenen Leckerlis nicht frisst und
einfach bis zum Ende der Fährt durchfegt. Das möchte die Prüfungsordnung nicht.
Ups! Verkehrte Welt? Ja! Die meisten Hunde, die diese Art der Fährtenarbeit
absolvieren, fressen und verfolgen keine Fährte. Mal ganz von der klitzekleinen
Tatsache abgesehen, dass die Hunde die Leckerlis oft auch sehen – je nach
Beschaffenheit der Wiese.
Es ist auch
stark anzuzweifeln, ob der Hund mit 5 Menschen im Schlepptau und einem Menschen
neben ihm, der den Kopf runter drückt konzentriert arbeiten kann. Wenn ich hier
also tippe, 5 Menschen stehen hinter mir, Martin drückt den Kopf Richtung
Tastatur – ja, das wird ein guter Text.
Es gibt 2018
wirklich viele, tolle Möglichkeiten dem Hund Spurenarbeit mit Spaß zu
ermöglichen, aber die oben geschilderte Methode scheidet aus. Sie wurde vom
heutigen Wissen einfach überholt. Und um Martin, meinen Lebenspartner, zu
zitieren: „30 Jahre Hundeerfahrung nützt nix, wenn Du Dich nicht weiterbildest.“
Für alle,
die sich auf einem neuen Wissensstand weiterbilden möchten, gibt es zwei Veranstaltungen:
und drei
Buchtipps:
- Spurensuche von Ann Lill Kvam vom animal learn Verlag
- Das große Schnüffelbuch von Viviane Theby und Michaela Hares vom Kynos-Verlag
- Hund-Nase-Mensch von Alexandra Horowitz vom Kynos-Verlag
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