Hundetraining in der Facebook-Kommentarfunktion?



Diesmal muss ich mich nicht aufregen, sondern ich bekomme langsam richtig Angst. Vor ca. 2 Wochen habe ich einen tollen Blogartikel von Ines Neuhof „Hundehaltung in den sozialen Netzwerken“ gelesen. Ich habe mich köstlich amüsiert.

Der Artikel geisterte aber weiter in meinem Kopf. Mit durchaus anderer Wahrnehmung las ich nun die Postings in den sozialen Medien. Was findet man da so typischerweise: „Hi, ich bin Jennifer und habe einen XY-Hund mit XY-Problem. Der Post wird jetzt länger, aber ich brauche dringend ein paar Tipps!..“  Der Name Jennifer steht als Platzhalter  - es ist keine bestimmte Person gemeint. Ganz oft geht es um schwerwiegende Probleme wie z.B. Angst, Leinenaggression oder auch Erkrankungen. Vielleicht gibt es zum Post ein Bild vom Hund in Kuschelposition mit dem dazugehörigen Menschen. Videos sind eher selten.

Das, was wir dort lesen,  ist  in der Regel nicht nur die Beschreibung von Verhalten. Also so etwas wie Ohren liegen an, der Schwanz ist eingeklemmt und die Augen sind weit aufgerissen. Nein, in den Beschreibungen wird die persönliche Interpretation  gleich mitgeliefert z.B. wenn wir seinen Erzfeind treffen, hängt es ihn komplett aus. Das ist keine Verhaltensbeschreibung. Das ist komplett subjektiv gefärbt.

Ein paar Minuten später geht es ab in der Kommentarfunktion – es werden Einschätzungen, Ratschläge und Trainingsanweisungen gegeben – und nicht wenige. Bewundernswert ist tatsächlich die Fähigkeit zur Schnelldiagnose ohne detaillierte Informationen. Ich kann das nicht. Ich bin da offensichtlich altmodisch unterwegs. Ich brauche für eine Einschätzung viel mehr Informationen und ich möchte ein Problemverhalten gerne sehen. Total 2000 – ich weiß.

Nach der Ersteinschätzung mit Hilfe eines längeren Gesprächs glaube ich tatsächlich noch an einen solchen beispielhaften Ablauf:

  •  Schulung des Menschen
  • Veränderung des Umfeldes des Hundes (Ernährung, Beschäftigung etc.)
  • Training eines Alternativverhaltens in problematischen Situationen

Diese Art des Trainings braucht Zeit und persönliche Präsenz. Das geht nicht nur mit Tipps und das geht nicht in der Kommentarfunktion von Facebook. Nun glaubt man vielleicht, dass nur Laien in der Kommentarfunktion trainieren. Weit gefehlt, dort findet man viele namenhafte TrainerInnen. Vorzugsweise sind es bekennende TrainerInnen der Wattebauschfraktion.  Zu dieser Fraktion zähle ich mich explizit auch. Wir verkaufen unser Wissen gerne gegen die Währung „gefällt mir“ und „love“.   Blöderweise haben wir unser Wissen teuer mit Geld bezahlt, man denke nur an Ausbildungs- und Weiterbildungskosten.  Ein Austausch dieses Wissens zur Weltverbesserung ist ethisch lobenswert, wirtschaftlich gesehen aber unvorteilhaft.  Ich persönlich kann von „gefällt mir“ und „love“ nicht leben.  Ich muss Geld für meine Arbeit nehmen. Aber gut, das soll jeder halten wie er mag.

Ich darf  mich dann aber auch nicht darüber aufregen, dass die TV-Trainer suggerieren, dass man ein Verhaltensproblem in 45 Minuten Sendezeit lösen kann.  Wir lösen es in weniger als 45 Minuten – wir lösen Probleme in der Kommentarfunktion.

Genauso wenig darf es mich unter diesen Umständen berühren, wenn meine Kurse nicht mehr besucht werden. Es steht ja alles in den sozialen Medien. Tatsächlich sind die Wettbewerber meiner Hundeschule schon lange nicht mehr die Hundeschulen nebenan, mein größter Wettbewerber sind die sozialen Medien. In vielen Gesprächen höre ich: „Nein, wir waren nicht in der Hundeschule. Wir haben viel im Internet gelesen und uns das Passende heraus gesucht!“ Das Passende?

Auffälligerweise trainieren die TrainerInnen, die wir alle nicht mögen, nicht in der Kommentarfunktion von Facebook. Sie geben ab und an eine Kostprobe ihres „Könnens“, aber nicht mehr.

Und jetzt führen wir uns mal folgendes vor Augen, wie sind denn die Quoten bei der Vermittlung und Speicherung von Wissen?  Forscher haben herausgefunden, dass die Quote von dem, was wir an Lernstoff im Kopf behalten, gestaffelt ist:
  • durch Lesen: 10 Prozent
  • durch Hören: 20 Prozent
  • durch Sehen: 30 Prozent
  • durch Hören und Sehen: 50 Prozent
  • durch eigenständiges Erklären: 70 Prozent
  • durch eigenes Tun: 90 Prozent
Bei Training in der Kommentarfunktion – Vermittlung durch Lesen -, habe ich eine Quote von 10%. Reicht mir das als engagierter Hundetrainer?  Mal ganz davon abgesehen,

  •  dass der Lösungsansatz vielleicht gar nicht passt
  • dass ich nicht erklären und korrigieren kann
  •  dass ich medizinische Ursachen übersehen habe
  • dass der Mensch Auslöser des Verhaltens ist
  • dass ich nichts vorzeigen kann
  •  usw…

Dann kommt oft das Argument, wir müssen uns zum Experten machen und in den sozialen Medien präsent sein. Das ist toll, wenn der Tipp in der Kommentarfunktion gerade zufällig passt. Aber was, wenn nicht? Wenn wir bei der Schnelleinschätzung etwas übersehen? Dann wird der Tippgeber schnell der Methode XY zugeordnet und die funktioniert dann generell nicht. Ganz schnell landen alleTrainerInnen der Methode XY dann aus Kundensicht im gleichen Topf. Ist das wirklich unser Ziel? Helfen wir so den Hunden?

Hier kommt von mir ein klares „Nein“. Subjektiv kommen immer mehr Hunde mit gravierenden Verhaltensproblemen zu mir, wo vor mir schon alles Mögliche in Eigenregie probiert wurde. Dieses Phänomen beklagen ja auch einige Tierärzte. Der Hund zeigt Krankheitssymptome und der Mensch fragt erst einmal in den sozialen Medien nach. Dann wird ein bisschen selbst „herum behandelt“ und ein Arzttermin folgt erst, wenn die Krankheit sich schon sehr verschlimmert hat, möglicherweise auch durch nicht angemessene eigene Behandlungsversuche.  Wir therapieren die Seele des Hundes über soziale Medien. Wollen wir das wirklich?

Ich habe schon damals in meinem Angsthundebuch bewusst auf Trainingsvorschläge verzichtet, um eine unpassende und nicht sachgemäße Nachahmung zu verhindern.  Es wird also von mir auch kein Training in der Kommentarfunktion geben.

An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich nichts gegen gute Blog-Artikel oder gegen gute Online-Kurse habe. Online Lernen ist ein Teil der Zukunft und hat unbestreitbare Vorteile. Aber in einem Online-Kurs muss gewährleistet sein, dass viel mit Videos gearbeitet wird und es Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Kunde und Trainer gibt, so dass Feedback möglich ist. Im Internet-/Handyzeitalter mit ausgezeichneten technischen Möglichkeiten ist einiges möglich. Aber auch hier: da steckt so viel Arbeit drin, dass es an Schwachsinn grenzt Online-Kurse dauerhaft kostenlos anzubieten.

Ihr findet mich in Zukunft auf jeden Fall auf dem Hundeplatz, in Onlineseminaren und auch in Blogartikeln. Training in der Kommentarfunktion gibt es von mir nicht. Dann bin ich halt echt 2000.

Diesen Blog schließe ich auch mit einem Satz aus dem Blog von Ines Neuhof:
Erziehungsfragen im Facebook scheinen jedenfalls Lawinen von persönlichen Sichtweise auszulösen, am Ende des Threads steht auch gern mal ein warnendes „Thread geschlossen“. Nach einer Diskussion am Dienstagvormittag (auch Hundetrainer scheinen über viel Tagesfreizeit zu verfügen, und Hundetrainer sind die hier alle mit Sicherheit) sind einige der Namen grau unterlegt. Die haben die Gruppe verlassen.“

Haben wir HundetrainerInnen  tatsächlich so viel Zeit? Oder sind die sozialen Medien unser größter Zeit- und Kundendieb!

Kommentare

  1. Ohne Facebook-Kommentare würde ich meinen Hund heute jeden Tag zeigen, daß ich der Chef bin. Also lieber Kommentare, als Trainer.

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  2. Super geschrieben :) Sehen wir ganz genauso!

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