Generelle Leinenpflicht & Verhalten - wie werden sich unsere Hunde verändern?





Beginnen darf ich den 2. Teil mit einem Zitat von Prof. Dr. med. vet. Irene Sommerfeld-Stur, einer Hundeexpertin der VetMed Vienna:


„[ ... ] Durch die fehlende Befriedigung des Bewegungsbedürfnisses kommt es zu einem Sinken der Reizschwelle. Hunde, die sich ausschließlich an der Leine bewegen dürfen, werden somit in jedem Fall gefährlicher als Hunde, die sich ausreichend bewegen können. Es ist daher damit zu rechnen, dass der Anteil von Bissvorfällen mit Hunden durch generellen Leinenzwang eher steigt als sinkt,... [ ... ]“
 

(aus Überlegungen zu den möglichen Auswirkungen von ständigem Leinen-und Maulkorbzwang, A. Univ. Prof. Dr. Irene Stur Institut für Tierzucht und Genetik Veterinärmedizinische Universität Wien, http://www.maulkorbzwang.de/Briefe/promi/stae_leinen_stur.htm)


Das unterschreibe ich zu 100%. Es ist eine trügerische Sicherheit, die der Bevölkerung durch einen generellen Leinenzwang suggeriert wird. Mal ganz davon abgesehen, dass ca. 60% der Beißvorfälle im privaten Bereich passieren


Fangen wir mal bei der Frage an, warum die Hunde überhaupt Auslauf haben müssen. Denn in einigen Köpfen geistern ja so Vorstellungen herum wie:

  • daß der eigene Garten für die tägliche Bewegung reicht,
  • daß 10 Minuten um den Häuserblog komplett ausreichen
  • oder eine Zwingerhaltung dem Hund nichts ausmacht.

Der tägliche Auslauf hat verschiedene Funktionen:

  • Befriedigung des Bewegungsbedarfs der Hunden
  • Erkundungsmöglichkeiten; geruchliche Kommunikation – „Zeitung lesen“
  • Sozialverhalten mit Artgenossen und Menschen
  • Stärkung der Mensch-Hund-Beziehung
  • Harn- und Kotabsatz außerhalb des eigenen Hauses bzw. Gartens

Wie viele Tiere hat der Hund ein natürliches Bewegungsbedürfnis. Er möchte rennen, springen und buddeln. Auch ausgiebiges Wälzen gehört zu den Lieblingsbewegungen von Hunden. Rennen, Springen und Wälzen ist an der Leine nur sehr eingeschränkt möglich. Dazu braucht man Freilauf.


Natürlich ist das Bewegungsbedürfnis von Hund zu Hund unterschiedlich. Rasse, Alter und der Gesundheitszustand sind hier u.a. die Einflussfaktoren. Welpen sollten keine 4-Stunden-Wanderung machen. Ein Hund mit Gelenksproblemen sollte sich bewegen, aber nicht überfordert werden. 


HundeexpertInnen geben natürlich unterschiedliche Empfehlungen zur täglichen Bewegungsdauer. Von einer bis vier Stunden finden wir alle möglichen Angaben. Die Wahrheit liegt wie immer irgendwo in der Mitte. Tägliche Bewegung ist wichtig für Geist und Körper. Das ist beim Hund nicht anders als beim Menschen. Fehlt diese Bewegung stellt sich Frust ein und in der Folge auch Krankheiten. Frust und Schmerz sind dann oft der Wegbereiter für Verhaltensstörungen wie z. B. aggressives oder stereotypes Verhalten.


Der tägliche Spatz (Spaziergang) soll dem Hund Erkundungsmöglichkeiten bieten. Löcher müssen erforscht werden, liegende Baumstämme müssen erobert werden und möglicherweise steht noch „Wasser treten“ in der nächsten Pfütze auf dem Programm. Allein unterschiedliche Bodenuntergründe stimulieren das Gehirn.Der Hund bleibt so geistig und körperlich fit. 

Eine Studie von Kobelt et al. (2003) hat das Verhalten von 2000 Hunden untersucht, die in Australien ganztags im Garten gehalten wurden. Das Ergebnis: das Vorkommen von Verhaltensproblemen wie exzessives Bellen, übermäßiges Herumrennen, Kreis- oder Hin- und Herlaufen stieg ohne Auslauf signifikant deutlich an. Erkundung an der Leine ist zwar möglich, aber deutlich erschwert bei einer Leinenlänge von 2 Metern oder noch schlimmer an der Kurzleine (ca. 1 Meter). Wenn dann der Hundehalter oder die Halterin auch noch stur dieselbe Runde geht, ist es mit Erkunden mal schnell vorbei. Der Hund ist dann oft gelangweilt und ein unerwünschtes Verhalten kann die Folge sein. Hunde, die kaum noch Lebensfreude haben und lustlos neben ihren Menschen her trotten, sieht man fast täglich.


Tja, und dann die Sache mit dem Sozialverhalten.Hunde möchten Kontakt zu anderen Hunden (Ausnahmen bestätigen hier wieder die Regel). Es sind hochsoziale, empathische Wesen. Aus diesem Grund sind sie der beste Freund des Menschen, auch wenn das gerade scheinbar in Vergessenheit gerät. Nur im Freilauf mit anderen Hunden kann normales Sozialverhalten gelernt und gefestigt werden. Solche Begegnungen an der Leine sind nicht möglich, weil der Bewegungsspielraum für die ritualisierte Körpersprache der Hunde fehlt. Man denke z. B. an das Umrunden der Hunde beim Kennenlernen. Es gibt Leinensalat und durch das Entwirren der Leinen stören wir Menschen das Gespräch der Hunde. Wir quatschen quasi dazwischen. Es besteht zudem eine erhöhte Verletzungsgefahr für Mensch und Hund.


Hunde kommunizieren nicht nur miteinander beim direkten Aufeinandertreffen, sondern auch durch das Hinterlassen und Prüfen von ihren Duftmarken. „Zeitung lesen“ in Form von Schnüffeln ist für viele Hunde das Größte. Die Leine stört hier einfach – denn nach 2 Metern ist in der Regel das „Zeitung lesen“ beendet. Vielleicht genau dann, wenn es spannend wird. 


Ohne direkte oder indirekte Sozialkontakte wird der Hund dann langsam komisch. Leinenaggression oder auch Angstverhalten sind häufige Verhaltensstörungen bei Hunden, die sehr isoliert gehalten werden.


Für das bessere Verständnis stellen wir uns etwas rückschrittig vor, ich darf nur in Begleitung meines Lebenspartners vor die Tür. Blöderweise muss ich auch an seiner Hand gehen (quasi Bei Fuß oder Kurzleine). Kontakt mit anderen ist nur erlaubt, wenn ich die Hand halte. Es ist absehbar, dass ich ihn von Tag zu Tag weniger mögen werde und vermutlich versuche ich abzuhauen. Ich vermenschliche zu sehr? Nein, die Gehirnstrukturen, die für Beziehung, Angst oder Aggression zuständig sind, unterscheiden sich zwischen Mensch und Hund nicht wirklich. Sie sind Jahrtausende alt. Der Hund verabscheut uns für einen generellen Leinenzwang und wenn er die Möglichkeit hat, wird er „ausziehen“.


An der Leine ist das artgemäße, innerartliche Sozialverhalten nicht möglich. Aggressions- und Angststörungen sind die häufige Folge. Das häufigste Kundenproblem in der Hundeschule ist das Ausflippen des Hundes an der Leine bei einer Hundebegegnung. Der Anstieg ist in den letzten Jahren signifikant. Ein Schelm, wer es mit dem zunehmen Leinenzwang in den letzten Jahren in Verbindung bringt ;-).


Last not least ein gemeinsamer Spaziergang, bei dem Mensch und Hund frei bewegen können, stärkt die Beziehung, entspannt und bringt einfach Lebensqualität.


Der vorliegende Gesetzesentwurf mit quasi generellem Leinenzwang wird die Verhaltensprobleme bei Hunden ansteigen lassen. Die Gefährdung anderer Hunde und Menschen wird damit zunehmen und nicht sinken.


Eine vertrackte Situation. Ich möchte keinen generellen Freilauf für Hunde. Sicher nicht. Es gibt einfache Bereiche, da muss ein Hund angeleint sein und darf andere weder belästigen noch gefährden.


Allerdings muss es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Zonen mit Leinenpflicht und Zonen mit Freilaufmöglichkeit geben. Ein Kompromiss ist nötig. Der Gesetzentwurf so wie er jetzt ist, geht ausschließlich auf Kosten der Hunde und ihrer Menschen. Er wird die Gesamtsituation verschärfen und in keiner Weise zu mehr Sicherheit für die Bevölkerung führen.


Im nächsten Blogartikel geht es um die gesundheitlichen Folgen eines generellen Leinenzwangs. 


Bis die Tage – der nächste Teil ist schon „in der Mache“! Sonnige Grüße aus der Leutasch – Bettina & Martin  von der Hundeschule & Hundepension Tirol


Kommentare